Lesungen: St.Goarshausen Bacharach und SIM 2024/25


Lesungen 2024

Unter Ausstellung:

Hier ist Platz für unsere Literaten. Vielleicht möchten Sie sich uns anschließen, bei uns mitmachen, einen Text präsentieren?  Schicken Sie uns einfach eine Textprobe oder berichten Sie kurz über Ihre Aktivitäten. Eventuell verfügen Sie auch über eine Homepage. Schicken Sie uns einen Link. Susanne Enderwitz und das Orga-Team.

Eine allgemeine Anmerkung:

Sie befinden sich auf der Seite „Lesungen“. Hier stellen unsere Autorinnen und Autoren sich und ihre Werke in einem „digitalen Porträt“ vor. Außerdem informieren sie über Termine und Inhalte ihrer nächsten Lesungen. Ein Textbeispiel oder eine Leseprobe vermitteln einen ersten Eindruck vom Werk. Bitte beachten Sie, dass diese speziellen Inhalte ortsgebunden sein können und von Ausstellungsort zu Ausstellungsort variieren. Unverändert bleibt jedoch das„Digitale Portrait“.

Lassen Sie mich auf das „Digitale Porträt“ näher eingehen: Auf der separaten Seite „Gedanken zu RHEIN! ROMANTIK?“ präsentiert sich jeder Teilnehmer mit einem solchen Portrait. Dieses enthält neben einem persönlichen Foto des Autors und der Teilnehmernummer einen stark gekürzten Auszug aus einem Text, den der Teilnehmer zum Thema der Ausstellung RHEIN!ROMANTIK? verfasst hat und in dem er seine Gedanken zum Ausdruck bringt.

Der vollständige Text findet sich unter dem jeweiligen „Digitalen Porträt“ auf der Seite „Gedanken zu RHEIN! ROMANTIK? (Hilfe bei der Erstellung des „Digitale Porträt“. Dieser Text war ursprünglich Teil unserer gedruckten Broschüre, aus diesem Grund finden Sie ihn noch immer unter dem Stichwort Broschüre.)

Weiter mit dem „digitalen Porträt

Links neben dem persönlichen Foto des Autors (Passfoto) wird der Künstler mit einem kurzen Beitrag (Text und/oder Bild vorgestellt). Dieser Abschnitt enthält allgemeine Informationen über den Künstler, wie z.B. seine bisherigen Arbeiten. Es handelt sich also um Projekte, die nicht in direktem Zusammenhang mit einer angekündigten Lesung und somit mit einem bestimmten Ausstellungsort oder einem bestimmten Buch stehen.

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Ein Klick auf das „Digitale Porträt“ auf der Seite „Lesungen“ führt automatisch zur Seite „Gedanken zu RHEIN!ROMANTIK?“ mit dem vollständigen Text zum Ausstellungsthema. Wir haben diese Navigation eingerichtet, um Ihnen den Zugang zu den umfangreichen Beiträgen unserer Teilnehmer zu erleichtern und sicherzustellen, dass Sie keinen wertvollen Beitrag verpassen.

Honorar

Unsere Gemeinschaft agiert auf ehrenamtlicher Basis. Das bedeutet, alle Beteiligten leisten ihren Beitrag ohne Honorar und mit viel Leidenschaft für die Kunst und Literatur. Wir teilen das gemeinsame Ziel, die Faszination und Schönheit der RHEIN!ROMANTIK? einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Susanne Enderwitz und das Orga-Team

Eintritt und Getränke sind frei, es gibt eine kleine Pause zwischen den Vorträgen.

Lesungen 2024/5

St. Goarshausen, Neues Rathaus

So, 2.6.2024

15.00-15.45: L001 Alfred Rosen

15.45-16.30: L012 Anette Dodt

So, 9.6.2024

15.00-16.30: L010 KJ Perscheid (Langvortrag)

So, 16.6.2024

15.00-15.45: L005 Margret Drees

15.45.-16.30: L009 Dieter Kramer

Bacharach, Mittelrheinhalle

So, 4.8.2024

15.00-15.45.: L004 Walter Karbach

15.45.-16.30: L001 Alfred Rosen

Sa, 10.8.2024

15.00-16.30: L010 KJ Perscheid (Langvortrag)

So, 11.8.2024

15.00-15.45: L005 Margret Drees

15.45-16.30 L008 und L009 Susanne Enderwitz/Dieter Kramer

So, 18.8.2024

15.00-15.45: L006 Christiane Ulmer-Leahey

15.45-16.30: L003 Monika Boess

Simmern, Neues Schloss

Do, 13.2.2025

19.00-19.45 L006 Christiane Ulmer-Leahey

19.45-20.30 L003 Monika Boess

L001 Alfred Rosen

Kapelle ohne Schatten

Wie in dieser Jahreszeit nicht selten, lag am frühen Morgen ein zäher Dunstschleier über dem Rhein, während die Frühlingssonne wie Lichthauben die Bergspitzen des Siebengebirges schon hell bestrahlte. Das milde Klima der letzten Tage hatte dafür gesorgt, dass der bewaldete Bergrücken des Reichenberg unterhalb der Lungenheilstätte Hohenhonnef sein hellgrünes Frühlingskleid bekam. Der Wald war erfüllt vom Konzert unzähliger Vögel und vieles sprach dafür, dass es einen guten Übergang in den Mai geben würde.

Nach entbehrungsreichen Jahren freuten sich viele Menschen, den traditionellen Maifeiertag zu feiern, zumal sich diesem Feiertag auch noch ein Wochenende anschloss. Wer bisher noch keinen Frühjahrsputz gehalten hatte, der holte es spätestens an diesem 30. April nach.

Auch wenn es in Deutschland aufgrund der immer noch spürbaren Auswirkungen von Weltkrieg und Wirtschaftskrise Millionen Arbeitslose gab, so halfen sich viele selbst, die ärgste Not irgendwie zu lindern. Wer kein regelmäßiges Einkommen hatte, hielt sich mit Gefälligkeitsarbeiten über Wasser. Viele hatten sich ein kleines Stück Land urbar gemacht und versorgten die Familie mit Gemüse und was der Garten sonst noch so hergab. Man hatte nicht viel, aber es ließ sich leben. Auch wenn sich immer mehr politisch geprägte Unruhen im Land ausbreiteten, verspürte man im ländlichen und kleinstädtischen Bereich noch ein gewisses harmonisches Miteinander. Man kannte sich und nicht alle Geheimnisse blieben Geheimnisse.

Keiner ahnte, dass an diesem strahlenden Frühlingsmorgen die sich gerade erst wieder entwickelnde bürgerliche Harmonie einer Kleinstadt am Rhein urplötzlich durch markerschütternde Schreie eines Mannes zerrissen würde.

Wilhelm Birnbaum fuhr zusammen, und ihm wäre sein Besen vor Schreck fast aus den Händen geglitten. Er hatte gerade erst seinen Tagdienst als Pförtner der Klinik Hohenhonnef begonnen. Seinem Sinn für Ordnung und Sauberkeit entsprechend, begann er Laub vor dem Eingangstor zur Seite zu kehren. Starr blieb er stehen und lauschte gespannt. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich Schreie eines Mannes gehört hatte oder ob es vielleicht doch ein Tier war? Nicht selten, vor allem im Frühling, blökten auch schon mal Rehböcke im nahen Wald?

„Aaahh! Nein! Hilfe!“, rief jemand. „Loslassen!“

L003 Monika Boess

Im Schusterhaus

Im Schusterhaus in der „Grub“ roch es nach tranigem Leim und alten Leder. Den krummen Rücken gebeugt nagelte und klebte mein Opa Gumbrich am kaputten Schuhwerk. Offen blieb die Tür, selbst wenn der Regen rauschte und der Nebel vom Fluss heraufzog. Im Winter bollerte der Ofen neben dem Schrank mit dem Ledervorrat. Ich spielte mit Pechschnüren und sortierte die Nägel.

Uralt war das Haus, das sich hoch über den Straßenrand recken musste. Drei Stufen führten hinab ins Parterre. Gestampfter Lehm bedeckte den Boden der Schusterstube. Über eine Außentreppe gelangte man zu zwei Kammern hinauf. Knöterich wucherte in den Giebel rein. Ein ungestümer Geselle, der das Haus im Würgegriff zu halten schien. Rückseitig schloss sich ein verwilderter Garten an, in dem Hühner scharrten und Kaninchen in Verschlägen schlachtreif gefüttert wurden. Daneben hing ein Abort aus halb verfaultem Holz über einem stinkenden Loch.

Alle Winde fegten um das alte Haus, dessen Fundament auf Pfählen ruhend sich immer tiefer zu senken begann. Weder der schwedischen Reiterei Gustav Adolfs oder Tillys Kroaten gelang es, das Häuschen in Trümmer zu legen. Stadtbrände ließen es unversehrt, neue Kriege übersahen es. Als die Bomben das Viertel trafen, blieb es wie durch ein Wunder unzerstört. Es musste einen geheimen Schutzzauber besessen haben. Ein Eckhaus war es einmal gewesen. Jetzt hing es allein auf dem Acker des Untergangs.

Opas Hämmern klang durch verschwundene Gassen. Vor ihm breitete sich ein Trümmerfeld aus. Kellergewölbe nahmen den Regen auf. Tapetenfetzen verloren sich im Wind. Verborgene Nischen offenbarten sich. Mit jedem neuen Frühling wucherte ein grüner Teppich darüber hin, der ungestört zu blühen begann. Hundskamille und Klatschmohn wuchsen mit der Königskerze um die Wette. Struppige Stängel lauerten dem Herbst entgegen und irgendwann erstarrte alles im Raureif der ersten Winternacht.

Für meinen Opa Gumbrich befand sich alles am alten Platz. Ein Stückchen „Grub“ hatte sich in seine Seele gebrannt. Hier war er aufgewachsen und hier hatte er seine große Liebe gefunden. Die Hilda vom Bäcker Lanius, ein Mädchen, so blass wie Winterlicht, war ihm beim Tanz in der „Patronentasche“ begegnet. Kurzes Glück. Sie hatte es auf der Lunge gehabt.

Winterregen fiel auf ihr Grab.

L004 Walter Karbach

Amsterdamer Jesuiten in St. Goar

Am 9. August 1660, einem Montag, erreichten gegen Abend die beiden Jesuiten Daniel Papebroch und Gotfrid Henschen die Stadt Sancti Goaris, wo der Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels das Sagen hatte. In Koblenz hatten sie früh am Morgen einen winzigen Kahn bestiegen und in Boppard ein bescheidenes Mittagessen zu sich genommen, mit gutem Brot, aber minderwertigem Käse.

St. Goar mit der stolzen Burg Rheinfels zeigte sich ihnen so, wie es in Matthäus Merians Topographia Hassiae festgehalten ist: Mit den Türmen der Stadtbefestigung und der früheren Stifts- und jetzigen evangelischen Pfarrkirche. Vermutlich kannten die gebildeten Patres den dort abgedruckten Kupferstich der „Hauptstatt der Vndern Graffschafft Catzenelenbogen“.

Es handelte sich bei den beiden Reisenden um Historiker des Jesuitenkollegs Antwerpen. Der weithin bekannte 60jährige Gotfrit Henschen und sein junger Begleiter, der 32jährige Daniel Papebroch, waren Mitarbeiter des Historikers Jean Bolland, der von seinem Orden mit der Herausgabe eines monumentalen Werkes beauftragt war: In den Acta Sanctorum sollten die Lebensgeschichten aller Heiligen aktenmäßig erfasst und historisch-kritisch geprüft versammelt werden, geordnet nach dem weltlichen Kalender.

Ein päpstlicher Legat in Bacharach

Am 5. August des Jahres 1426 erhält Bacharach hohen geistlichen Besuch. Per Schiff und mit großem Gefolge kommt der Gesandte (Legat) des Papstes Martin V., Kurienkardinal Giordano Orsini, in die kleine kurpfälzische Stadt am Rhein.  Orsini ist einer der mächtigsten und bedeutendsten Kardinäle der Zeit, der während seines langen Lebens sechs Päpsten dient. Er stammt aus einer der großen römischen Adelsfamilien, deren Mitglieder hohe weltliche und kirchliche Ämter ausüben; einer der ihren hat als Papst Nikolaus III. von 1277 bis 1280 amtiert. […]

Giordano Orsini ist ein sehr vermögender und hochgebildeter Mann, der mehrere Sprachen spricht. In Rom gehören ihm zwei Paläste und auch außerhalb Roms hat er umfangreichen Grundbesitz. Als Liebhaber und Sammler von Handschriften und Büchern besitzt er eine umfangreiche Bibliothek. Zu seinem Bekanntenkreis zählen bedeutende Humanisten. Was führt nun einen solchen Mann im Jahre 1426 nach Bacharach?

L005 Margret Drees

Das Schwarz im Regenbogen

…Die beiden auf dem Kutschbock schweigen sich an. Solange es nichts zu sehen gibt, haben sie sich vermutlich auch nichts zu erzählen. Irgendwo zwischen den Häusern beginnt ein Hahn zu krähen, worauf ein anderer etwas weiter entfernt antwortet. Langsam, ganz langsam schickt sich die Stadt an, aus ihrem Schlaf zu erwachen. Aber noch kostet die Nacht unter dem Nebel ihre letzte Macht bis zur Neige aus, ehe sie sie triumphierend an den neuen Tag übergibt.

Inzwischen hat das Fuhrwerk das Ufer des Rheins erreicht. Der Fluss selbst ist in der erst beginnenden Dämmerung kaum zu erkennen, denn erst allmählich geht das Schwarz der Nacht in Grau über, und aus dem einen Grau lösen sich Abstufungen und lassen die Umgebung erkennen. Über dem Fluss geistert dichter Nebel und tanzt mit den Wellen, die nun schon erste Lichtfetzen spiegeln, stromabwärts. Friedrich Wilhelm schaut ihnen zu, und die alte Sehnsucht nach Freiheit will wieder in ihm aufkeimen. Viel lieber hätte er den Fluss unter anderen Umständen kennengelernt. Vielleicht im Frühling, wenn das Leben am Strom erwacht oder auch jetzt im Herbst, in der Herbstsonne, die den Fluss und die Hügel vergoldet, die letzten Trauben reifen lässt für einen neuen Wein und nicht so früh am Morgen, gefangen und frierend unter einer feuchten grauen Nebeldecke …

… Eine warme Suppe hätte er gebraucht, dann würde er sich ein wenig besser fühlen, und zudem ist er nicht ausgeschlafen. Wer nicht ausgeschlafen ist, hat einen ungeheuren Bedarf an Wärme und an Trost. Wann jemals in seinem Leben wurde er überhaupt getröstet? Eigentlich nie, wenn er von seiner Kindheit absieht. Damals war es seine Großmutter, die ihn, als er noch ein kleiner Junge war, hin und wieder auf ihren Schoß genommen hat, wenn er gefallen war und sich verletzt hatte oder bei ähnlichen Gelegenheiten. Nein, nicht seine Mutter und erst recht nicht sein Vater. Die waren streng. Versuchten, einen anständigen und tüchtigen Menschen aus ihm zu machen. Anständig und tüchtig! Gut, dass sie ihn nicht in dieser Situation sehen können und Groningen weit weg ist …

L006 Christiane Ulmer-Leahey

Sibylle Wabenreich und die Anonymen Begehrer

Sie hatte überhaupt keine Lust zu dem Treffen zu gehen. Draußen regnete es. Schon seit Wochen kletterte das Thermometer nicht über die 20 Grad Marke, und das im Juli! Es war der Vorschlag des Paartherapeuten gewesen, und ihr Mann hatte den Gedanken freudig begrüßt. Auch die Familie fand das mit den Anonymen Begehrern eine gute Idee. Vielleicht gelang es ihnen, der bis dato so treusorgenden Mutter und Ehefrau klarzumachen, dass sie ihr plötzlich geäußertes Verlangen nach Freiheit und Unabhängigkeit zugunsten ihrer ehelichen und familiären Verpflichtungen zurückzustellen habe.

Wie war das doch gleich mit der Frauenbewegung? Sie erinnerte sich an Geschichten ihrer Mutter, die sich mit ihren Freundinnen in der Jugend für Frauenrechte eingesetzt und ihre BHs öffentlich verbrannt hatte. Sibylle Wabenreich hatte diese Aktion stets als übertrieben belächelt. Jetzt war sie sich da nicht mehr sicher. Anfang des 21. Jahrhunderts musste sie plötzlich darum kämpfen, selbst bestimmen zu dürfen, ob sie ein Sabbatjahr einlegte und alleine eine Weltreise unternahm, um fremde Länder und sich selbst kennenzulernen? Die Kinder waren erwachsen und aus dem Haus. Ihr Mann teilte die Sehnsucht seiner Frau nach Freiheit und Abenteuer nicht. „Außerdem bin ich ja beruflich gebunden, ich kann mir eine solche Auszeit nicht leisten, selbst wenn ich es wollte.“ Was er vor allem nicht wollte, war, auf die Annehmlichkeiten des Ehelebens verzichten. Damit er sein Essen regelmäßig auf den Tisch bekam und die Wohnung stets aufgeräumt und sauber war, sollte sie auf ihren Lebenstraum verzichten? In häuslichen Gesprächen und später dann auch in den Sitzungen mit einem zu Hilfe gerufenen Paartherapeuten wurden Kompromisse ausgearbeitet und vorgeschlagen. Sie könne doch für eine kürzere Zeit in Urlaub fahren, wenn es sein musste auch mehrmals im Jahr. Bei der Auswahl der Destinationen würde Geld keine Rolle spielen. Mit einer Freundin solle sie reisen, alleine sei es zu gefährlich, und die ständige Angst um ihre Sicherheit sei der Familie nicht zuzumuten.

Kompromisse hatte sie in ihrem Leben genügend gemacht. Genaugenommen war ihr ganzes Leben ein einziger Kompromiss. Und dieses Mal, dieses eine Jahr nur für und mit sich alleine, darauf wollte sie nicht verzichten. Dennoch willigte sie ein, den Anonymen Begehrern einen Besuch abzustatten und zu einer ihrer Sitzungen zu gehen. Ziel dieses Vereins war es, Menschen dazu zu befähigen, die Ursachen ihrer Begierden zu erkennen und potenziell daraus entstehende Schäden für sich und die Umwelt abzuwenden. „Okay, ich höre mir an, was sie zu sagen haben. Anschließend treffe ich dann meine Entscheidung und die ist endgültig!“, verkündete sie und scherte sich in diesem Moment nicht darum, ob sie ihren Mann verärgerte oder verängstigte und welche Konsequenzen ihr Entschluss für das weitere eheliche Zusammenleben haben würde.

L008/9 Susanne Enderwitz und Dieter Kramer

Mein Rhein: Zwei Zugezogene erzählen

Unser beider Rhein, der gemeinsame Rhein, begleitet unser Leben nun schon seit fast fünfundzwanzig Jahren. Damals kamen mein Mann (Frankfurt) und ich (Berlin) überein, unsere gegenseitigen Besuche in unseren jeweiligen Zwei-Zimmer-Wohnungen mit dem Kauf eines Ferienhauses zu erweitern. Ein paar Jahre später führte eine berufliche Veränderung dazu, dass ich Berlin verließ und wir aus dem Ferienhaus unseren Hauptwohnsitz machten.  Seitdem wohnen wir in einem Dorf oberhalb von Kaub, und seitdem haben wir auch unsere je eigene Annäherung an den Rhein gesucht.

Dieter Kramer:  Dass wir bei unserer Suche nach einem gemeinsamen Domizil überhaupt auf den Mittelrhein verfielen, hängt nicht zuletzt mit Dieter Kramers Familie zusammen. Er selbst wurde in Rüsselsheim geboren und ist dort auch aufgewachsen, aber beide Herkunftsfamilien (Nastätten und Zorn) lockten ihn in den Schulferien immer wieder in die Gegend. Als Kulturwissenschaftler und Volkskundler beschäftigt er sich heute bevorzugt mit Formen sozialer Gemeinschaft und gemeinschaftlichen Handelns, die am Mittelrhein einst so vital waren und sich auch im Werk herausragender Persönlichkeiten (Reformer, Literaten, Künstler am Mittelrhein) vor allem des 19. Jahrhunderts gespiegelt finden. Aus dieser Arbeit ist ein Buch (Gemeinsinn und Kreativität, Imprimatur 2022) hervorgegangen, das sich bewusst eher auf die Geschichten Einzelner und ihrer Gemeinschaften als auf eine Gesamtgeschichte des Mittelrheintals konzentriert und nach Wegen sucht, demokratische Traditionen für das 21. Jahrhundert erfahr- und erlebbar zu machen.

Susanne Enderwitz: Ein Aufwachsen in Frankfurt zieht nicht notwendig eine Vertrautheit mit dem Rhein nach sich, und so orientierte man sich bei den Enderwitz‘schen Familienausflügen vor allem an den Wurzeln der Mutter in Oberhessen. Studium und Arbeit in Berlin rückten für die nächsten dreißig Jahre den Rhein noch weiter in die Ferne; erst ein Berufswechsel von der Freien Universität Berlin an die Universität Heidelberg und das Pendeln zwischen der neuen Arbeitsstätte am Neckar und der ebenfalls neuen Wahlheimat am Rhein schärften den Blick für die Rheinkultur und die Romantik.  Die Perspektive erwuchs dabei aus dem Beruf: Als Orientalistin fiel mir auf, wie lokal verengt unser hiesiges Verständnis der Romantik ist, wie wenig ihr weltumarmend-weltverändernder Impetus im Gedächtnis geblieben ist und wie vergessen die geschwisterlich engen Bezüge zwischen Rhein- und Orientromantik sind. Deshalb bemühe ich mich seit einiger Zeit, diesen versunkenen Schatz wieder ans Tageslicht zu bringen, spüre aber auch über die Romantik hinaus bis zum Ende des 19. Jahrhunderts seiner Wandlung vom universalistischen Edelmetall ins eurozentrische Katzengold (z.B. Karl May) nach.

L010 Karl Josef Perscheid

Von unserem Haus in Urbar auf der linksrheinischen Burgenterrasse ist es bis zur Loreley ein knapper Kilometer Luftlinie. Viel näher bei dem sagenumwobenen Felsen kann man nicht wohnen! Wenn ich von unserem Aussichtspunkt Loreleyblick Maria Ruh hinab in das Rheintal schaue, habe ich auch nach mehr als 50 Jahren noch immer das Gefühl an einem der schönsten Punkte Deutschlands zu leben. Auf der anderen Rheinseite liegt mir die Loreley geradezu zu Füßen, ebenso die kleine turmbewährte Altstadt von St. Goarshausen mit Burg Katz und weiter im Hintergrund Burg Maus.

Sie sehen – bei dieser Landschaft der Sagen und Märchen gerate ich ins Schwärmen.

Ein Märchen aus alten Zeiten hat es mir schon lange besonders angetan und dazu geführt, dass ich zwar nicht als Kunstschaffender, aber als Sammler tätig wurde. Meine Sammlung von Loreley-Ansichtskarten umfasst den Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart und zeigt nicht nur wie sich das Sujet in dieser Zeitspanne änderte, sondern auch wie sich Tourismus, Kommerz, Mode, Werbung, Politik usw. der Loreley bemächtigten.

Im Zauber der Loreley

1. Einleitung

2. Die Loreley auf dem Felsen

3. Die Loreley in Serienkarten

4. Die zwanziger Jahre

5. Reklamekarten

6. Auch St. Goar wirbt mit der Loreley

7. Mit der Loreley wird Politik gemacht

8. Lokale Ereignisse

L012 Anette Dodt

Flaschenpost

„Da! Echt jetzt! Voll auf die Nase!“ Hannes wischt sich ärgerlich durchs Gesicht. „Alles was recht ist, aber spätestens, wenn’s regnet, hört’s doch nun wirklich auf mit der Romantik.“

Lorena schmunzelt und zieht ihren kleinen Taschenschirm aus dem Rucksack: „Man muss nur gerüstet sein, Hannes.“

„Lassen Sie mich bloß mit dem Knirps da in Ruhe. Den rühr ich nicht an.“ wehrt Hannes missmutig ab, „Ich hab‘ mal so ein Gerät zum Geburtstag gekriegt und schon beim ersten Mal Ausprobieren hab ich fast mein Augenlicht verloren, na, jedenfalls das halbe. Das Ding springt einfach so ohne Vorwarnung von selbst auf, nur wenn man es unauffällig zu den Geschenken, die man nie haben wollte, zu räumen versucht, und das mit einer Kraft, der ich jedenfalls nicht viel entgegenzusetzen hab‘. Ein Schirm ist ein Gebrauchsgegenstand und hat sich gefälligst auch so zu verhalten. Aber diese Automatik-Dinger da haben ja ein regelrechtes Eigenleben, und verhalten sich nachweislich feindlich gegen uns Menschen. Wahrscheinlich ist da auch noch GPS-Krempel dran, so dass man von jedem x-beliebigen Spion ohne Probleme aufgespürt werden kann.“

Lorena steckt spöttisch den Schirm wieder in den Rucksack zurück: „Da staune ich jetzt aber. Seit wann führen Sie denn ein derart riskantes Leben, dass es Geheimdienste auf Sie abgesehen haben könnten?! Allerdings ist es zugegebenermaßen schon erstaunlich, dass der einzig nennenswerte Regentropfen weit und breit ausgerechnet auf Ihrer Nase gelandet ist. Da liegt der Verdacht nahe, dass dies eine technisch ausgeklügelte ferngesteuerte Nieselattacke auf Sie darstellt. Man muss wohl unweigerlich zu dem Schluss kommen, dass Sie das dezidierte Ziel von irgendwelchen die Weltherrschaft anstrebenden, bösartigen Mächten sind.“

„Sie brauchen sich gar nicht lustig zu machen über mich,“ mault Hannes und bleibt abrupt stehen, „wer ist denn schuld an meinen versauten Schuhen und den verdreckten Hosenbeinen? Wer kommt denn auf die hirnrissige Idee, in der Januarkälte im Dunkeln auf dem Leinpfad – und damit sowieso schon halb im Fluss – spazieren zu gehen, und hält das auch noch für witzig? Wir hätten wunderbar bei ein, zwei weiteren Gläschen mit weltbester Aussicht auf den Rhein im Fürstenberg hinter der Fensterscheibe sitzen bleiben können, aber nein, das Fräulein kriegt ihre Anwandlungen und schleppt mich durch die übelst nach Pisse stinkende Unterführung gradewegs an die Uferkante, um im Matsch in die gruselige Nacht hinein zu starren und sich verloren und verlassen zu fühlen. – Mist! Und jetzt bin ich auch noch hängen geblieben.“


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