Kultur & Geschichte: Märchen, Mythen, Sagen


Vom Wunderhorn und den Mythen des Rheins

Märchen fehlen am Rhein. Die Brüder Grimm sammelten ihre Geschichten anderswo – in Hessen, Thüringen oder im Norden. Hier aber entstanden Sagen, ortsgebundene Erzählungen, die den Fluss mit Bildern aufluden: von Felsen, die zu Jungfrauen wurden, von Türmen, die Strafe verhießen, von Burgen voller Geister und von Brüdern, die sich verfeindeten.

Heinrich Heine sprach im Loreley-Lied von einem „Märchen aus uralten Zeiten“ – obwohl es eigentlich Sagen sind, die den Rhein prägen. Seine Wortwahl zeigt, dass es nicht um die Gattung ging, sondern um die Wirkung: ein Gefühl des Geheimnisvollen, das über der Landschaft liegt. Diese Geschichten verwandelten Landschaft in Bühne, machten den Rhein einzigartig und vieldeutig – ein Spiegel menschlicher Wünsche, Ängste und Sehnsüchte.

Zur selben Zeit entdeckten Dichter, Maler und Reisende den Fluss als poetischen Raum. Achim von Arnim und Clemens Brentano sammelten in „Des Knaben Wunderhorn“ (1805–1808) Volkslieder und Gedichte, in denen sich Natur, Gefühl und einfache Lebenswelt zu einem neuen Bewusstsein verbanden – der Romantik. Auch sie suchten das Ursprüngliche, das Unverfälschte – und fanden es im Klang alter Worte und in der Landschaft am Rhein.

Mit dem Projekt RHEIN!ROMANTIK? greifen heutige Künstlerinnen und Künstler diesen Bogen neu auf. Sie fragen: Was ist geblieben von jener Verklärung des Rheins, von der Idee einer „reinen“ Landschaft und eines ewigen Flusses? Ihre Fotografien, Gemälde und Texte sind keine Wiederholung romantischer Bilder, sondern ein offener Dialog mit der Gegenwart – zwischen Schönheit und Veränderung, Erinnerung und Realität.

Wir laden Sie ein, diese Mythen neu zu lesen, sie weiterzuerzählen, in Bildern zu verdichten oder in eigenen Texten zu kommentieren. So entsteht ein neues Mosaik der Rheinromantik – gesehen mit den Augen von heute.


Sagensammlung am Rhein

Die folgende Auswahl ist eine unvollständige Beispielliste. Sie nennt bekannte Sagenorte am Rhein und kann nach und nach ergänzt werden.

– Oberwesel – Die Sieben Jungfrauen
Sieben Schwestern, stolz und hartherzig, werden im Rhein zu Felsen verwandelt. Bei Niedrigwasser sind sie sichtbar, ihr Klagen soll man noch hören.

– Andernach – Die Bäckerjungen
Zwei Bäckerjungen retten die Stadt mit Brotschaufeln vor einem Überfall der Linzer. Ihr Bildnis schmückt bis heute das Stadttor.

– Kaub – Pfalzgrafenstein (Agnes-Sage)
Die schöne Agnes von Staufen soll hier gefangen gewesen sein. In Liedern wurde die Zollburg zur Liebesburg verklärt.

– Boppard – Die feindlichen Brüder
Zwei Ritter, entzweit durch die Liebe zu einer Frau, bauen die Burgen Sterrenberg und Liebenstein – bis in den Tod verfeindet.

– Bad Hönningen – Schloss Arenfels
Eine weiße Frau erscheint in mondhellen Nächten, Hüterin von Schätzen oder unerlöster Geist einer Verstorbenen.

– Bingen – Mäuseturm
Bischof Hatto verbrennt die Armen in der Hungersnot. Mäuse verfolgen ihn bis in den Turm und fressen ihn auf.

– Trechtingshausen – Richtstätte / Reichenstein
Am Ort der Clemenskapelle stand einst der Galgen. Auf Reichenstein wurden Raubritter hingerichtet – ihre Geister sollen noch umgehen.

– Oberwesel – Schönburg
Eine stolze Jungfrau verweigerte allen Freiern die Hand. Als Geist der weißen Frau wandelt sie bis heute über die Mauern.

– Kaub – Gutenfels
Unter der Burg soll ein Schatz verborgen liegen, bewacht von einer Schlange mit einer goldenen Krone.

– Schloss Namedy
Im Park klagt der Geist einer Frau um ihren Geliebten. Manche sehen nachts Lichter im Schloss, obwohl niemand darin wohnt.

– Lorch – Hilchenhaus
Das spätgotische Bürgerhaus ist mit Geschichten von Schätzen und Spukgestalten verbunden – Sinnbild einer reichen, aber sagenhaften Vergangenheit.