Vernissage (29.7.24 in Bacharach)  


Professor Dr. Dieter Kramer, Laudatio für Vernissage (29.7.24 in Bacharach)  

Die Intellektuellen, die der Mainzer Erzbischof von Erthal im 18. Jahrhundert nach Mainz holte und die, wie Graf Stadion, der katholischen Aufklärung im Erzbistum eine Heimstatt schufen, haben dem Rhein weiter keine Beachtung geschenkt. Ähnlich wenig Begeisterung zeigten Forster und Humboldt bei ihrer Rheinreise 1790. Als die Romantiker, vor allem Schlegel und Brentano, den Rhein „entdeckten“, hatten die Französische Revolution, die Revolutionskriege, die Machtentfaltung Napoleons auf dem linken Rheinufer und den Rheinbundstaaten, bereits das Interesse der damaligen Öffentlichkeit auf den Strom gerichtet. Die Romantiker wandten ihr Interesse der Landschaft und den Menschen zu, und sie bereicherten damit das intellektuelle, ästhetische Erleben ungemein und dauerhaft. Können wir da heute weitermachen oder müssen wir die Romantik ganz neu denken? 

Heute, in der ökologischen Krise der Lebenswelt, können Flüsse zu Rechtssubjekten werden. „Bienen, Flüsse und Ökosysteme sind nicht nur schützenswert, weil sie dem Menschen dienen, sondern einfach so. Vertreten durch menschliche Anwälte können sie auch vor Gericht ziehen.“ Viele Prozesse sind mittlerweile zugunsten der Natur entschieden worden. Dipesh Chakrabarty, ein 1948 in Kolkata (Kalkutta) in Indien geborener, in Chicago lehrender vielbeachteter Historiker erinnert daran, dass wir uns „den Menschen als mit anderen Lebensformen vernetzte Lebensform (neu) vorzustellen“ haben.  Demgemäß müssen wir also die Beziehungen zwischen Menschen und Tieren, eingeschlossen mikrobielles Leben, berücksichtigen und das planetarische Denken sogar auf Nichtlebewesen erweitern. Die Natur als Rechtssubjekt ist ihm wichtig, so auch Flüsse und Gletscher. (Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter. Aus dem Englischen von Christina Pries. Berlin: Suhrkamp 2022) 

Der Strom ist uns nicht „anvertraut“, er gehört zur bewohnbaren Welt, deren Teil wir sind. Wenn wir dulden, dass er in seinem Leben beeinträchtigt wird, leiden wir mit. Und für uns wird es keine Fluchtmöglichkeiten geben: Den 11.000 Einwohnern der vom Steigen des Meeresspiegels bedrohten Inselstaates Tuvalu im Pazifik (seit 2000 Mitglied der UNO) hat Australien 2023 Asyl angeboten. Für uns wird es keinen Staat geben, wenn die Ufer eines vergifteten oder vertrockneten Rheinstroms unbewohnbar werden.  

Seit der Romantik haben viele Menschen den Rhein als mehr oder weniger aufregenden, beeindruckenden, vielfältigen Strom erlebt. Die Gemälde und Fotos der Ausstellung, die wir vor uns haben, zeugen davon und erinnern daran. Auf verschiedene Weise versuchen sie jedoch gleichzeitig, die Fragen der Gegenwart aufzugreifen und das Augenmerk auf sie zu lenken. Es gibt Künstler, die in der Tradition der Romantik die Rheinlandschaft als Residualwelt abbilden, die vor weiterem Zugriff geschützt werden muss. Andere Künstler richten den Blick auf die Schrunden, die der Rhein als einer der wichtigsten Transportwege Europas erlitten hat und weiter erleidet. Noch andere entwerfen ein Gegenbild zur Romantik, indem sie sich auf den Rhein als Industriezone konzentrieren. Zwischen diesen verschiedenen Haltungen gibt es zahlreiche Übergänge und Abstufungen, die jedoch allesamt eine tiefe Verbundenheit mit der Rheinlandschaft zum Ausdruck bringen. 


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