Prof. Dr. Dieter Kramer 


02324aRheinromantik3.8.BacharachLaudatio

Für die Presse! Es gilt das gesprochene Wort!

Dieter Kramer

Laudatio für Vernissage der „Rhein!Romantik?“

Eine Laudatio soll es sein, und es wird auch eine. Aber versprochen ist ihnen im Titel etwas zu Josef Gregor Lang, der 1790 seinen eigenen Blick auf den Rhein wirft.

Einleitend dazu möchte ich Sie aber noch auf den ersten Heimatdichter unserer Region aufmerksam machen. Ich meine damit Decimus Magnus Ausonius (310 – 400), der mit seinem Mosella-Poem 371 ein (lateinisches) anmutig idyllisches Preisgedicht auf die Vorzüge des Moseltales schuf. Es ist entstanden in Trier, das Kaisers Valentinian I. 364-375 damals zeitweiligen zur Hauptstadt des Römischen Reiches machte. Das Poem sollte wohl die Römer dazu bewegen, wieder ihre Landgüter in diesem schönen Tal zu beziehen – einer lebendigen, attraktiven Vielvölkerregion mit Inklusion aller. Aber schon bald war es dann mit der Inklusion der verschiedenen Zuwanderer vorbei, die römische Herrschaft an der Mosel brach zusammen. Die die nachfolgenden Gebietsherren legten keinen Wert auf Landschaftsschönheit, betrieben aber die Inklusion weiter, indem sie jeden, der sich ihrer Heeresmacht anschloss, zu den ihrem „Volk“ zählten

Ausonius ist somit der erste Heimatdichter unserer Region, abschätzig wird er „Gelegenheitsdichter“ genannt, in Wirklichkeit verleiht er unserer Region Profil und Gesicht. Leider hat Ausonius sich nicht mit dem Rhein beschäftigt. Vielleicht wäre er dann auch jener besonderen Ausstrahlung verfallen, die der Rhein anscheinend sogar gegen den Willen mancher seiner Besucher ausübt.

Ich nenne zwei davon: Georg Forster und zunächst den versprochenen Josef Gregor Lang mit dem Bericht seiner Reise auf dem Rhein, 1789 erstmals in Koblenz erschienen. H. Georg Breitwieser hat seinen Bericht 1992 im Wisperverlag wieder zugänglich gemacht. Josef Gregor Lang besucht Mainz, die wohlhabende Zoll- und Handelsstadt. Mit Graf Stadion ist sie damals ein Hot Spot der katholischen Aufklärung. „Sinnliche Ergözlichkeiten, als Bääle, Komödien“ aller Art bietet damals der Hof des luxusliebenden Kurfürsten Fürst Friedrich Karl von Erthal (Erdal Schuhcreme wurde später in der nach ihm benannten Straße produziert).

Josef Gregor Lang reist von der aufgeklärten Residenz Mainz aus mit einem Nachen und einem Ruderer rheinabwärts. Er empfindet in der Landschaft „Himmelandacht“, und „ein „vernehmliches Echo scheinen Geister zu sein.“ Schaudern und Ehrfurcht überkommen ihn, „tausend Bilder der Vergangenheit, die biedern altdeutschen Zeiten reihten sich in meinem Kopf aneinander – ich glaubte eine Menge bärtiger Ritter, fest und stark, noch unverdorben von Weichlichkeit, so im Schlage des Götz von Berlichingen und Fust von Stromberg, vor mir zu sehen“ (51) – bis der Schiffer ihn aus seinen Träumen weckt und ihn auf die Landschaft aufmerksam macht.

In Koblenz, der neuen Residenz von Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier begegnet ihm wieder die Aufklärung: Dort gibt es eine Lesegesellschaft, neue Verordnungen zum Schulwesen, zur Befreiung der Lehrer von allen Personallasten und Handfrohnden und zur Berechtigung des Bezugs der „Gemeindsnuzbarkeiten“ (89). Und es gibt viele Klöster (zu viele, wie er meint). Aber, notiert der Katholik Lang nicht ohne Stolz, es gibt auch eine Lederfabrik: Auch katholische Länder können so etwas!

So bewegt sich Lang in der Welt der bürgerlicher Aufklärung, wird aber bei der Rheinfahrt von der Landschaft zeitweise in einen vorromantischen Mittelalter-Schwärmer verwandelt: Der Rhein übt Macht auf die Menschen aus.

Der Revolutionär Georg Forster will die Aufklärung in Mainz ganz anders, nämlich politisch, in die Mainzer Republik umsetzen (vergeblich, wie wir wissen). Bei der Rheinreise, die er 1790, also wenig später als Lang, zusammen mit dem jungen Alexander von Humboldt unternimmt, wird die Landschaft nicht spektakulär gewürdigt – im Gegenteil: Sie wird langweilig empfunden. Bei ihm setzt die Wandlung erst in Köln ein. Er schwärmt, ganz anders als man es von einem Aufklärer und Revolutionär erwartet, von dem (noch unvollendeten) Dom in Köln: „Die Pracht des himmelan sich wölbenden Chors hat eine majestätische Einfalt, die alle Vorstellung übertrifft. In ungeheurer Länge stehen die Gruppen schlanker Säulen da, wie die Bäume eines uralten Forstes: nur am höchsten Gipfel sind sie in eine Krone von Ästen gespalten, die sich mit ihren Nachbaren in spitzen Bögen wölbt und dem Auge, das ihnen folgen will, fast unerreichbar ist. Läßt sich auch schon das Unermeßliche des Weltalls nicht im beschränkten Raum versinnbildlichen, so liegt gleichwohl in diesem kühnen Emporstreben der Pfeiler und Mauern das Unaufhaltsame, welches die Einbildungskraft so leicht in das Grenzenlose verlängert.“ (S. 45) Melchior Sulpiz Boisserée (er lebte 1786-1851) liest etwa zwei Jahrzehnte später diese Passage und findet das so eindrucksvoll, dass er beginnt, für die Vollendung des Kölner Doms zu werben: Der Dombauverein entsteht.

So wirkt das Rhein-Erlebnis: Der Rhein prägt die, die ihn besuchen, anscheinend auch gegen ihren Willen. Die ausgestellten Bilder und die Kommentare von Susanne Enderwitz zu den Bild-Paaren geben uns die Möglichkeit, dem nachzuspüren.

Wenn ich heute die Rhein-Erfahrung benennen soll, muss ich an eine Erfahrung von vor mehr als vierzig Jahren denken: Ich gehe mit jemandem durch Salzburg, und höre: Wie romantisch! Nein, sage ich, Salzburg ist nicht romantisch, Salzburg ist – mir fällt nichts Besseres ein – stark.

So kann ich auch den Rhein begreifen. Und das ist der Kern meiner Laudatio, meiner lobenden Worte für die Veranstalter: Ich bedanke mich für das Ausrufezeichen in „Rhein!Romantik?“ – das Schrei-Zeichen, wie Arno Schmidt, der vergessene, es genannt hat: Der Rhein ist stark! Er ist nicht nur, wie die Geographie uns lehrt, die gewaltige Wasserader, die das überschüssige Wasser aus einem riesigen Einzugsgebiet von den Alpen über Bodensee und die Oberrheinische Tiefebene in die Nordsee führt. Er ist seit Jahrhunderten, ja vielleicht seit Jahrtausenden die wichtigste Verkehrsader der Region. Er zwingt auch die Menschen in seinen Bann, ohne dass ihnen recht bewusst wird was ihnen geschieht. Er ist stark, und man kann ihm mit Wort „romantisch“ nichts Gutes antun. Viel besser ist es, sein Durchbruchstal, den Oberen Mittelrhein, als „Welterbe“ zu bezeichnen, wie es die UNESCO tut: Einzigartig in der Verbindung von Natur und Kultur ist dieses Welterbe-Tal eine vorbildliche Gestaltung des nachhaltigen Zusammenwirkens von Natur und Mensch. Damit verbunden ist die Verpflichtung, es weiterhin zu erhalten.

Wenn ich heute gefragt werde, was meine Meinung zur touristischen Markenstrategie „Romantischer Rhein“ ist, dann sage ich: Es sollte vermieden werden, 2024 den Tourismus auf einen Weg zu leiten, von dem andere touristische Destination sich wünschten, ihn wieder verlassen zu können: Overtourism ist das Stichwort des Jahres 2024, in dem Menschen in Zielregionen sich dagegen wehren, ihre Heimat durch den Tourismus zu verlieren.

Steht das denn in seinem Manuskript, höre ich in Gedanken eine Zuhörerin fragen. Nein, in der Tat, ich darf nicht zu kritisch sein, ich will es mir ja nicht mit meinen Mitmenschen verderben, und deswegen rede ich davon nicht weiter. Von Overtourism ist man ja hier auch weit entfernt (wie lange, denkt man an Hot Spots – hier steht das Fragezeichen von Rhein!romantik?) Und wenn man kiritisiert, muss man auch auf andere Wege hinweisen.

Ja, sie sollen kommen, die Touristen, sich hier wohlfühlen und genießen, sollen sich ihr eigenes Bild vom Rhein machen, wie die Künstlerinnen und Künstler, deren Bilder wir heute hier ausstellen: Bei ihnen spürt man, wie sie selbstbewusst, vorurteilsfrei und wenig vorgeprägt von den Urteilen anderer, sich ihr Bild mit Schreizeichen (Ausrufezeichen) und Fragezeichen machen.

Die Touristen sollen im „Welterbe Rheintal“ genießen, sie sollen aber nicht das Gefühl haben, in eine mit neoliberalen Marketing kommodifizierte (marktfähig gemachte) Landschaft zu kommen, wo bei jeder Bewegung Kaufkraft aus ihnen herausgelockt wird. Sie sollen eine Landschaft vorfinden, in deren Reiz und Tradition sich Lebensgenuss, ästhetische Anmutung und lebendige Phantasie treffen, in der die „alte Mären“ eine Heimat hatten, in der das Aufeinandertreffen von deutschsprachiger Kultur und französisch-aufklärerischem Denken spürbar wird. Es soll erfahrbar werden, dass hier an vielen Stellen vorbildlich daran gearbeitet wird, Strukturen für eine Zukunft des regionalen Überlebens in globalen Krisen  zu entwickeln, und in der Lebenserwerbsmöglichkeiten nicht nur in einem krisenanfälligen Tourismus gesehen werden, sondern auf breiter Ebene in regional angepassten mannigfaltigen Erwerbsstrategien. Dazu gehören auch Industrie und digitales Wirtschaften, Home Office eingeschlossen (was brauchen wir dafür, welche Infrastruktur für Kultur und Bildung fehlt noch?)

Handel und Nahversorgung schaffen Arbeits- und, auch das ist wichtig, Lebensplätze. Die aktuelle Auseinandersetzung um das vergrößerte Factory Outlet Center in Montabaur, mit dem vielleicht einige neue Arbeitsplätze verbunden sind, aber auch noch mehr Leerstände in den Innenstädten, deutet aktuelle Probleme an – warum hat es da nicht wie anderswo längst eine breite Bürgerbewegung dagegen gegeben?

Touristen sollen kennenlernen, was hier geschieht im ökologischen Landbau, in sozialer Landwirtschaft, im zukunftsgerechten Waldumbau, in Genossenschaften für Solarenergie und für Nahversorgung, in der Vorsorge für Zeiten mit mehr Trockenheit und mehr Starkregen gleichzeitig, in Inklusion und Bildung in der wohlstandssichernden Einwanderungsgesellschaft. Vielleicht können sie sogar bekannt gemacht werden mit beispielhaften Anlagen nicht nur für Holzschnitzelheizung, sondern auch für Fernkälte gegen die Überhitzung von Gebäuden anstelle von energiefressenden Klimaanlagen. In solchen Projekten liegen die Stärken der beiden Seiten des Stromes. „Welterbe Tal“ ist dann das passende Wort dafür, nicht eines, das auf eine wiederbelebte Mumie Romantik verweist.

Und die Besucherinnen und Besucher sollen auch erleben, dass hier mit Ferdinand Freiligrath in St. Goar und Assmannshausen ein Hot Spot der Demokratieentwicklung liegt, und dass mit den internationalen Jugendbegegnungen 1950 die Loreley ein Hot Spot zur Vorbereitung der Europäischen Einigung war.

Das sind Themen für das UNESCO Welterbe Mittelrhein, die dem Ausrufezeichen (Schreizeichen) und dem Fragezeichen der Künstlergruppe, deren Ausstellung heute eröffnet wird, gerecht werden. Die Künstlerinnen und Künstler dieser Gruppe habe ich kennengelernt als nachdenkliche und offen mit ihrer Gestaltungskraft umgehende Persönlichkeiten. Vielleicht hilft die Ausstellung der Gruppe dabei, auf einige zukunftsgerichtete Aspekte die Aufmerksamkeit zu richten.

In den Gondeln der Koblenz-Ehrenbreitsteiner Seilbahn hängen Bildpaare der Künstlerinnen und Künstler, kreativ und sensibel kommentiert von Professorin Susanne Enderwitz, mit denen an einige besonders interessante Motive hingewiesen wird.

© Dieter Kramer 30.07.2024


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