02124bRheinromantik
Presse-Handout – es gilt das gesprochene Wort!
„Rhein!Romantik?“ 2024 (www.rheinromantik.org)
Kunstausstellung in St. Goarshausen 25,.5. – 23.. 2024, Rathaus, Bahnhofstr. 8,
56346 St. Goarshausen
Lesung 16.6. 15.45 Dieter Kramer
Eine lebensgeschichtliche Sicht auf den Mittelrhein
Die Gestalterinnen und Gestalter des Profils der Gruppe „Rhein!Romantik?“ stellen uns eine besondere Aufgabe: In dem Titel haben sie ein Ausrufezeichen und ein Fragezeichen untergebracht. Ich versuche, beidem gerecht zu werden.
Zunächst zum Ausrufezeichen in der Mitte des Wortes. Für mich ist nicht nur die Romantik mit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das große Ausrufezeichen, sondern vor allem auch das, was vorher gedacht wurde. Sturm und Drang haben versucht, die Aufklärung neu zu interpretieren und sie nicht nur als Instrumentenkasten für eine perfektionierte Ausbeutung im „Aufgeklärten Absolutismus“ zu verstehen, sondern auch als Aufforderung zur Selbstermächtigung der Individuen: Die Nordamerikanische Befreiung vom Kolonialismus 1776 und die Französische Revolution haben 1789 den Weg dazu gebahnt. Gleichzeitig hat Johann Gottfried Herder mit seinen „Stimmen der Völker in Liedern“ geholfen zu entdecken, dass Kreativität kein Privileg der Eliten ist, sondern – und so formuliert die UNESCO es dann im 21. Jahrhundert – die am gleichmäßigsten über die ganze Erde verteilte Ressource ist. Herder hat Goethe in Straßburg 1780 mit seinen Ideen beeindruckt, und die Romantiker machten sich von hier aus auf den Weg, dieser Kreativität nachzuspüren. So taten es dann L. Achim von Arnim Clemens von Brentano mit der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“ (1806-1808).
Das ist (für mich) das erste große Ausrufezeichen zur „Rhein!Romantik?“.
Ich habe, auch wieder für mich, ein anderes großes Ausrufezeichen viel jüngeren Datums in unserer Region gefunden: Dabei denke ich an ein Ereignis ganz hier in der Nähe, nämlich an die Europäischen Jugendtreffen von 1951 auf der Loreley oberhalb von Sankt Goarshausen. Mit diesen internationalen Jugendbegegnungen ist indirekt verbunden die Aufforderung, im Sinne der 1946 gegründeten Vereinten Nationen auf dem europäischen Kontinent Gemeinsamkeit und Frieden zu fördern.
Die Jugendtreffen von 1951 in unserer Region waren für das Deutschland nach 1945 und für Europa außerordentlich wichtig: Sie werden in ihrer Bedeutung für das neue Europa zu wenig beachtet, und dass die Loreley mit ihrer jüngsten Umgestaltung nicht mehr daran erinnert, ist für die demokratische Erinnerungskultur höchst nachteilig. Mindestens eine große Schautafel sollte darauf aufmerksam machen.
Die Loreley ist, ähnlich wie der Feldberg im Taunus, schon früh ein Ort der sportlichen Begegnung. 1897 fand auf der Loreley ein erstes Bergturnfest mit etwa 3000 Turnern statt (vermutlich unvermeidlich für die damalige Zeit patriotisch gefärbt).
Die 1946 neugegründete Mainzer Universität veranstaltete seit 1947 internationale Sommerkurse mit Studenten aus vielen europäischen Ländern, vor allem auch aus Frankreich. Mit diesen Sommerkursen hingen die Europäischen Jugendtreffen auf der Loreley zusammen. Ihr Höhepunkt war das Jugendlager, bei dem in der Zeit vom 20. Juli bis 6. September 1951 auf Grund einer französischen Initiative in mehreren Durchgängen rund 35.000 Jugendliche auf der Loreley zusammenkamen. Federführend für die Vorbereitung und Durchführung dieses Treffens, das unter dem Motto „Jugend baut Europa“ stand, war der rheinland-pfälzische Landesjugendring, der m Februar 1948 gegründet wurde. „Ihm gelang es, Jugendliche aus 14 verschiedenen Nationen zusammenzuführen (60 Prozent Deutsche, 20 Prozent Franzosen, dann Briten, Belgier, Niederländer, Italiener.“ Es war eine Begegnung europäischer Kulturen.
Politische Fragen standen im Hintergrund.
Dennoch kam es zu politischen Auseinandersetzungen. Der „Rheinische Merkur“, einst von dem in unserer Region beheimateten Joseph Görres (1776-1848) als konservativ-katholische Zeitung gegründet, klagte in seiner Ausgabe vom 17. August 1951: „Loreley mit rotem Haar“. Er vermutete eine kommunistische Infiltration dieses Treffens. Man machte dies u.a. fest an der Kritik gegen eine mögliche deutsche Wiederbewaffnung und gegen das Franco-Regime in Spanien. „Eine dreistündige Pressekonferenz am folgenden Tag konnte die Anschuldigungen aus der Welt schaffen.“ (Wagner, Edgar: „Packt an! Habt Zuversicht!“ Über die Entstehung des Landes Rheinland-Pfalz und seinen Beitrag zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland . Mainz: Landtag … 2007 [Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz], S. 250/251)
Es wäre allerdings ein Wunder gewesen, wenn in diesen Jahren internationale Jugendtreffen ohne sozialistische, pazifistische und europapolitische Themen stattgefunden hätten.
Mich würde es auch nicht wundern, wenn unter den jungen Menschen, die Anfang der 1950er Jahre in Westeuropa Grenzschranken niederrissen, Teilnehmer des Jugendzeltlagers auf der Loreley gewesen wären.
Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler in Deutschland, bekannte schon 1949: „Das deutsche Volk besteht aus sehr verschiedenen Menschen. Man kann niemals auf die Zustimmung aller rechnen. Aber ich glaube sagen zu dürfen, daß die Verständigung mit Frankreich heute in Deutschland populärer ist als zu irgendeinem Zeitpunkt vor 1945. … Und besonders die jüngere Generation bei uns … hat die Notwendigkeit einer europäischen Einigung mit erfreulicher Klarheit erfaßt.“ (Ein von Konrad Adenauer autorisierter, von Ernst Friedländer verfasster Text, abgedruckt in: Die Zeit v. 3. Juni 2023, Jubiläumsausgabe).
Nach diesem Höhepunkt wurden Jugendtreffen dieser Art trotz finanzieller Kürzungen fortgesetzt. Sie mündeten indirekt in das 1963 gegründete deutsch-französische Jugendwerk. Später gab es auf der Loreley regionale Schulsportwettbewerbe. An die erinnern sich heute noch Erwachsene gern.
Das ist mein erstes Ausrufezeichen zur „Rhein!Romantik?“.
Vergessen ist, dass im Kalten Krieg im Zusammenhang mit der von Konrad Adenauer geförderten forcierten Westbindung ungefähr zur gleichen Zeit in dem rheinlandpfälzischen Kloster Himmerod in der Eifel über die Wiederbewaffnung der neuen Bundesrepublik Deutschland gesprochen wurde. Nicht gern erinnert wird auch daran, dass es im deutschen Teilstaates Pläne gab (und wohl auch Vorbereitungen getroffen wurden), die Loreley im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion in den Rhein zu sprengen, um durch die dann entstehende Überschwemmung den Vormarsch der Sowjettruppen zu verhindern – die Stollen und dahin führende Feldbahngleise für den Sprengstoff waren noch lange oberhalb des Eisenbahntunnels zu sehen, vielleicht auch heute noch.
Das ist das erste, auf die Loreley bezogene Fragezeichen zur „Rhein!Romantik?“.
Das zweite bezieht sich auf die Umgestaltung der Loreley in der jüngeren Gegenwart. Nach dieser Veränderung ist die Loreley für demokratische Treffen der genannten Art nicht mehr zu nutzen. Sie wird zu einem rummelplatzähnlichen touristischen „Event“-Platz. In den „gewachsenen“ Fels ist eine neue Schneise gesprengt worden, durch die man wie in einer Opferprozessionsstraße auf das Gasthaus Maria Ruh auf der anderen Rheinseite blickt. Auf den Fels Loreley selbst wurden neue Felsen aus Grauwacke aus bis zu zwanzig Tonnen schweren Einzelstücken transportiert, immerhin aus dem gleichen Erdzeitalter Devon, aber von einem ganz anderem Ort, und für den Besucher ist der Zusammenhang der kompakten Devon-Grauwacke mit dem schiefrigen Devon-Gestein auf der Loreley ohnehin nicht erkennbar. Aus diesen „Hör-Felsen“ werden, wenn´s funktioniert, Texte in verschiedener Sprache zu den neu konstruierten sogenannten „Mythen“ der Loreley abgespielt. In einem Museum soll das noch erweitert werden.
Fördergelder, die in die Region fließen, sollten auch dort ausgegeben werden. Aber die Felsen der Loreley waren wohl nicht gut genug. Das gehört zu meinem Fragezeichen.
Ich bekenne: Ich streite mich seit langem mit dem ansonsten von mir geschätzten Verbandsbürgermeister Mike Weiland über diese Veränderung der Loreley.
Hätte man nicht ehrlicherweise besser gleich auf Beton-Elemente für die Hör-Felsen zurückgreifen sollen? Die zerfallen wenigstens in einigen Jahrhunderten, vielleicht sogar schon früher, wie die jetzt zu erneuernden, nur einige Jahrzehnte alten Autobahnbrücken. Und dann hätten die kommenden Generationen wieder etwas von der alten Loreley wieder, wenn auch diese seltsame Schneise in den ursprünglichen Fels nicht rückgängig gemacht werden kann (übrigens: die vorgeschichtlichen Wälle bedeuteten am Rande des Plateaus viel zurückhaltendere Veränderungen)
Diese gewaltsame Umgestaltung erinnert mich an den Versuch, die lebendige sozialkulturelle Landschaft der Region mit ihren Vereinen, Musikgruppen, Sport- und Feuerwehrvereinen und mit dem hier aktiven Bürgerschaftlichen Engagement zu (in Anführungszeichen) „beleben“, indem man ein neoliberal-marktwirtschaftlich organisiertes Projekt Flow, alias Urbanatix aus dem Ruhrgebiet an den Mittelrhein holen und die für die Förderung der hiesigen Kulturszene versprochenen überregionalen Fördermittel dazu verwenden will.
Mit der Umgestaltung der Loreley sollen Touristen angelockt werden.
Und das ist mein weiteres Fragzeichen: Der Tourismus in der Region wird so organisiert, als blicke man durch eine Brille, mit der alles, was Euro oder Dollarzeichen erkennen lässt, besonders hervorgehoben wird. In der Broschüre „ZIRP Geschichten für die Zukunft. Kulturregionen in Rheinland-Pfalz. Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz. Mainz 2021“ [ZIRP] ist beispielhaft erkennbar, wie Kultur im Zusammenhang mit dem Tourismus Marktregeln unterworfen wird. Angestrebt wird „TOP-Leistung für TOP-Erlebnis“ (ebd., S. 90) und die Erzeugung einer „neuen Nachfrage für Kulturerlebnisse“. Geschäftsfelder sind Wein und Kulinarik, Natur und „Aktiv“, Wellness und Prävention. (ebd., 91/92)
Für eine gelenkte Tourismuspolitik und Kulturpolitik wird lehrbuchreif neoliberale dirigistische Kommodifizierung (Entwicklung von Marktfähigkeit) empfohlen: Das „Geschäftsfeld Kultur“ entwickelt baukastenartig seine Angebote und stellt sie gelenkt zum Verkauf. „Kulturelle Marktplätze sind v.a. über Multiplikatoren zu bespielen. Künftig sind vertriebsbasierte Alleingänge der unterschiedlichen Kulturinstitutionen in Rheinland-Pfalz durch gelebte Partizipation nach Möglichkeit zu vermeiden. Auf diesem Marktplatz geht es darum, zuerst das vielfältige kulturelle Angebot in Rheinland-Pfalz zu strukturieren und anschließend dieses über neue, digitale und analoge Vertriebskanäle einer sehr wertschöpfungsintensiven Zielgruppe zugänglich zu machen.“ (Koch, Jasmin, Projektmanagerin Geschäftsfeld Kultur bei der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH, Sag´s Deinen Freunden: Touristische Geschäftsfelder für Rheinland- Pfalz, in: ZIRP 90-92, 91)
Wer sich nicht daran hält, kriegt keinen Zuschuss, ist zu vermuten. Es wird aus der Vielfalt des Bestehenden ein „Produkt“ als Erlebnisangebot entwickelt, das dann – ich hebe das noch einmal hervor – an eine „sehr wertschöpfungsintensive Zielgruppe“ vermittelt wird: Das ist neoliberale marktwirtschaftliche Verwandlung des kulturellen Erbes in warenförmige käufliche Angebote für reiche Leute – die genannte sprichwörtliche Brille mit dem Dollar- oder Euro-Symbol vor Augen mit der man auf alles blickt.
Nicht kaufkraftstarke Gruppen (wie Jugendliche oder weniger kaufkraftstarke, aber noch mehr auf Bildungsangebote und Erholung angewiesene Zielgruppen) hält man möglichst fern, denunziert sie dann womöglich auch noch als „bildungsarme“ unkultivierte „Spießbürger“.
Dass Tourismus in der Demokratie anders aussehen kann, dass er auch etwas mit dem Recht aller auf Erholung und mit Gesundheitsvorsorge, aber auch mit Sensibilisierung für Nachhaltigkeit oder mit der Erinnerung an die Geschichte der Demokratie zu tun hat, spielt keine Rolle – letzteres wird an die „Landeszentrale für politische Bildung“ abgegeben.
Und dass bei der vorgeschlagenen Kommodifizierung des Natur- und Kulturerbes es sehr rasch zu jenem „Overtourism“ kommen kann, unter dem andere Regionen heutzutage leiden, wird gar nicht erst erwogen.
Das ist mein letztes Fragezeichen. Vielleicht fallen ihnen noch andere ein.
Dieter Kramer Sonntag, 16. Juni 2024