Landschaft und Echo
Das Obere Mittelrheintal zählt zu den beeindruckendsten und vielfältigsten Kulturlandschaften in
Deutschland und ist bereits 2002 aufgrund seiner reichen Historie zu Recht zum Weltkulturerbe
erklärt worden. Offiziell erstreckt es sich von Bingen bis Koblenz: vom Mäuseturm in Bingen bis
zum Deutschen Eck mit dem monumentalen Denkmal Kaiser Wilhelm I. in Koblenz. Diese Region
skizziert damit auch die historische Achse, die insbesondere seit den Römern bis zur Gegenwart
diesen Naturraum als besiedelt und kultiviert ausweist.
Schon immer hat das Mittelrheintal Künstler innen angezogen, die sich auf vielfältige Weise in der unmittelbaren Begegnung ihren eigenen Zugang geschaffen haben. Die berühmtesten unter ihnen waren der Engländer William Turner und die romantischen Dichter und Musiker. Diese Faszination ist bis heute ungebrochen und so wundert es nicht, dass der Filmclub Deinhard Koblenz, eine Projektgruppe des Foto-Clubs Koblenz und das Kunst-Spektrum Bingen sich ihrerseits aufgemacht haben, Landschaft und Menschen im Mittelrheintal in einer Ausstellung facettenreich zu thematisieren. Malerei und Fotografie gehen in der hier präsentierten Auswahl eine ganz eigene Symbiose ein, die sich oftmals nicht stark voneinander abgrenzt, sondern vielmehr das eine im anderen spiegelt oder sogar potenziert. Eingeladen waren alle, die mit ihrem Lebensraum im Mittelrheintal künstlerisch verankert sind und deshalb eine besondere Nähe zu diesem entwickelt haben. Es entstanden Arbeiten, in denen das individuelle Sehen und Erleben nachhallt. Hier dringt zumeist das Subjektive hervor, das sich in den besonderen Nuancen des sehenden Erlebens spiegelt und in fast allen Werken als intensives Begegnen mit der Weite des landschaftlichen Raums, seiner kulturellen Besonderheiten oder zuweilen in Detailstudien seinen Widerhall findet. In vielen dieser Arbeiten scheint etwas von jenen Sehnsuchtsorten auf, die einem romantischen Ideal entsprechen, das seit nunmehr zwei Jahrhunderten die Rezeption des Mittelrheintals bestimmt hat. Es vermittelt sich der Eindruck, als könne man diese selbst heute noch finden in dem sich manchmal weitenden Rheintal mit seinen Weinbergen längs des Flusses, das bekrönt wird von manch historischer, touristisch attraktiver Burg, dem Loreleyfels, den schon Heinrich Heine dichtend ein Denkmal setzte. Aber es finden sich auch Motive, die sich mit der massiven industriellen Nutzung befassen, dem Straßen- und Bahnverkehr, der Zersiedelung von Landschaften und dem urbanen Umfeld. Romantische Projektion und Realraum klaffen bewusst auseinander und machen umso deutlicher, wie sehr die Faszination des Rheins als Lebensader für diese Region gerade auf Künstlerinnen ausstrahlt. Es ist die Inspiration, die dieses Welterbetal in
sich trägt, und die ihrerseits einmündet in eine künstlerische Begegnung, sei nun sehend
realistisch oder doch verträumt idealisierend. Da stellt sich dann auch nicht vordringlich die Frage,
ob das alles Kunst sei, sondern vielmehr wiegt der Aspekt, dass hier etwas im Dialog mit den
landschaftlichen Erkundungen und Betrachtungen entsteht: gleichsam als ein subjektives Echo.
Ich wünsche der Initiative viel Erfolg und beglückwünsche die Akteur*innen für ihr Engagement,
schon heute den Weg zur BUGA 2029 vorzubereiten und künstlerische Reflektionen vorzustellen.
Das kann nur im wahrsten Sinne befruchtend sein.
Beate Reifenscheid
Prof. Dr. Beate Reifenscheid
Direktorin / Director
Ludwig Museum
Text aus dem Jahr 2021